Ralo Mayer

RALO MAYER
Das Innenleben der Sonde als Monument unermesslicher Suess-Effekte, vergeblich isoliert

Wiener Leitungswasser, Schweres Wasser, diverse Isolationsmaterialien
Maße in gefrorenem Zustand: 100 x 100 x 100 cm

Als sich der Atomphysiker Hans Eduard Suess, ein gebürtiger Wiener, der in die Vereinigten Staaten ausgewandert war, in den 1950er-Jahren mit der neu entdeckten Methode der Radiokarbondatierung beschäftigte, stieß er auf eine Ungenauigkeit: Durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe hatte sich seit dem 19. Jahrhundert das Verhältnis von Kohlenstoff-Isotopen in der Atmosphäre verändert. Die Radiokarbondatierung wurde diesem sogenannten »Suess-Effekt« entsprechend neu kalibriert, doch erst Jahrzehnte später erkannte man, dass Suess damit auch die anthropogenen Veränderungen der planetaren Atmosphäre und der Klimaerwärmung entdeckt hatte. 

Indirekt war Hans Suess zuvor bereits an einer anderen veränderten Isotopen-Verteilung beteiligt: Im Rahmen der Nuklearforschung des Dritten Reichs war er in die Gewinnung von Schwerem Wasser in Norwegen involviert.

Die Bevölkerung von Wien kennt seit 1873 einen anderen Suess-Effekt: das Wasser der Wiener Hochquellleitung. Ihr Bau wurde maßgeblich von Eduard Suess, dem Großvater von Hans, vorangetrieben, um nach Cholera- und Typhus-Epidemien die hygienischen Zustände der Stadt zu verbessern. Eduard Suess war aber nicht nur als Politiker im Gemeinderat tätig, sondern auch einer der einflussreichsten Geologen seiner Zeit. In seinen Büchern Die Entstehung der Alpen (1875) und Das Antlitz der Erde (1883 – 1909) beschrieb er als erster den Superkontinent Gondwana sowie das Urmeer Tethys und nahm damit viele Aspekte der später entdeckten Kontinentaldrift vorweg. Er führte zudem den Begriff der »Biosphäre« ein – laut seiner Definition der belebte Raum, der einen Himmelskörper umgibt. Die »Biosphäre«, in ihrer späteren Interpretation durch den russischen Geochemiker Vladimir Vernadsky, sollte vor allem in den gegenwärtigen Diskussionen rund um das Anthropozän neue Aktualität erlangen.

Die Verknüpfung geologischer und anthropogener Aktivitäten erforschte Suess bereits in einer frühen Publikation: In seiner Studie zur Geologie von Wien fügte er den ›natürlichen‹ Sediment­ebenen die sogenannte Schuttdecke hinzu, eine Schicht aus den Resten menschlicher Siedlungsaktivitäten. Der wunderbare Titel dieser Studie steht aus heutiger Sicht programmatisch für eine aktive Verbindung zwischen wissenschaftlicher Forschung und politischem Handeln – »from matters of fact to matters of concern« (Bruno Latour): Der Boden der Stadt Wien nach seiner Bildungsweise, Beschaffenheit und seinen Beziehungen zum bürgerlichen Leben.

Das meteoritische Mineral Suessit wurde nach Hans benannt, der Asteroid ( 12002 ) Suess nach seinem hier noch unerwähnten Vater Franz Eduard. Neben einer Büste beim Hochstrahlbrunnen und einigen Wiener Gassen erinnert auch der Mondkrater Suess an Großvater Eduard. Und was schmelzendes Eis angeht : Die Erderwärmung betrifft auch den Suess-Gletscher in der Antarktis.